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Haudegen 2016
       Ich liebe die Tapferen, aber es ist nicht genug, Haudegen sein.
      Man muß auch wissen Hau-schau-wen!      Friedrich Nietzsche


Music Hall Markneukirchen 09.10.2016


Auf Deutsch Songs zu schreiben, die unter die Haut gehen, Gefühle transportieren und Herzen erwärmen, ohne dabei allzu kitschig rüber zu kommen ist eine echte Kunst. Meister darin sind ohne Frage die 2 Jungs von Haudegen. Wenn man dann noch die Hintergründe eines Songs kennen lernt, oder zum Leben der beiden eine Verbindung herstellen kann, umso mehr. Dafür sorgen Hagen Stoll und Sven Gillert an diesem Abend in der Markneukirchner Framus Music Hall, die sich auch für eine Lesung mit Musik als perfekte Location erweist. Bevor es aber richtig losgeht, kann jeder sehen, wo das ZDF „Wetten dass“- Sofa abgeblieben ist - könnte man zumindest meinen. Das steht auf der Bühne und die 2 Haudegen (im ursprünglichen Sinne des Wortes) machen es sich mit ihrem Bandgitarristen bei einem Whisky-Cola aus der Dose und einem Mineralwasser erst einmal bequem, um mit fettem Grinsen das Publikum, ihr Publikum oder vielleicht besser ausgedrückt ihre Familie zu mustern. Denn das, und das wird an diesem Abend überdeutlich, ist ihnen wichtig. Das betonen Sie auch in der Lesung als man auf das Thema große Plattenfirmen zu sprechen kam. Sie haben keinen Bock auf ein „10000- Leute- Konzert“. „Du erreichst die nicht mehr und wenn es schon einmal passieren sollte, dann nur in der Gewissheit, dass man jeden persönlich schon mal die Hand geschüttelt hat.“
Wie ernst sie das meinen, sieht man gleich nach der Lesung, als man sich für wirklich alle Besucher Zeit nimmt, sich mit jedem der will, fotografieren lässt und alles signiert was ihnen unter die Nase gehalten wird. Von den von einer Buchhandlung angebotenen Büchern, über Eintrittskarten, den leeren Getränkedosen der beiden, bis zum Arm einer hübschen Konzertbesucherin. Letzteres natürlich besonders gern. Und so schütteln sie wieder viele Hände und bedanken sich bei jedem einzelnen fürs Kommen. Und das wirklich von ganzem Herzen.
Damit endet ein sehr kurzweiliger Abend mit viel Gänsehautgarantie und mit traurigen und lustigen Momenten aus dem Haudegen-Leben, vorgelesen aus dem zweiten Buch der Beiden mit dem Titel:
„Zusammen sind wir weniger allein“. Nach dem von Hagen Stoll veröffentlichten „So fühlt sich Leben an“ nun das erste gemeinsame literarische Werk. Und sie machen deutlich, was ein Buch für sie bedeutet. „Ein Buch das kann man riechen“ und dabei funkeln die Augen von Hagen Stoll.
Los geht die Lesung übrigens wie das Buch auch mit dem Vorwort und dem Satz „Vielen Dank, dass du dieses Buch gekauft hast“. Den würden sie gerne umändern in „kaufen wirst“ und nicht überraschend sind alle Exemplare zum Ende des Konzertes restlos vergriffen und haben vorn und hinten nicht gelangt. Und sie entschuldigen sich gleich, dass nicht alle Konzertbesucher einen Sitzplatz bekommen haben. Aber mit einem so großen Andrang hatte niemand gerechnet.
Und bevor die 2 „Kanten“, die etwas zu sagen haben mit Svens Geburt beginnen, genehmigen sie sich einen Schluck und fordern das Publikum auf, es sich auch gemütlich zu machen.
Und als sie ihre Lesung damit beginnen, dass die 16 Jahre ältere Mutter von Sven den nicht beabsichtigten 12 Pfund schweren Wonneproppen zur Welt bringt, ernten sie viele Lacher mit der Bemerkung, „da sieht man was aus einem 6 Kilo Baby wird“. Es sollen noch viele folgen, denn, ein großes Plus der Lesung, es wird nicht nur gelesen. Immer wieder schweifen die 2 ab, erzählen aus dem Leben und das macht den Abend erst so richtig vergnüglich. Und dann folgt der erste Song, passend zum Kapitel im Buch mit dem Titel „Großvater sagt“. Und da stellen sich zum ersten und nicht zum letzten Mal die Nackenhaare auf, wenn die zwei Freunde unplugged ihre unverkennbaren Stimmen erklingen lassen.
Sie erklären dem Publikum, wie es zu dem Namen Haudegen kam, als man unter den Kosenamen auf Bandnamenssuche ging. Einer der Kosenamen der Großväter, Steppke wäre da auch ein Thema gewesen, aber ein 12 Pfünder kann nicht Steppke heißen, stellte Hagen lächelnd fest, die Band Haudegen war geboren. Danach folgte ein Sprung im Buch bis zu dem Kapitel als die ehemaligen Türsteher vor 7 Jahren einen Weg gefunden haben, ihrem Leben mit der Musik einen neuen Sinn zu geben und sie begannen Musik zu schreiben und zu machen. Und sie erzählen von Opfern die Musiker bringen müssen, wie das ständige unterwegs sein, das keine Zeit für die Familie haben, das mit Sack und Pack aus Dresden wegziehen, wobei man das Pack in Dresden gelassen hat. Und sie untermalen das ganze wieder mit einem Song „Am Abgrund“ ihre erste Single. Auf Myspace gepostet, der Facebook Vorläufer, wie sie gleich als Erklärung hinterherschieben, dachte man bei 1,5 Mio Klicks an einen Fehler im System. Bei 250 Freunden bisher nicht verwunderlich und so forschte man erstmals nach, wie das zu Stande kam, nachdem Myspace die Richtigkeit bestätigte. Und so stellte sich heraus, dass besonders die Fanforen der Onkels fleißig geteilt haben. „Alles hat ein Ende nur die Onkels haben 2 oder 3 oder 4 scherzten sie daraufhin und nahmen die Abschlusstouren von Bands wie den Scorpions und Unheilig aufs Korn. Eine Option die sich die 2 nicht vorstellen können und Hagen betonte, dass er sich immer vorstellen kann mit Sven, seinem Bruder den er nie hatte, Mucke zu machen und noch mit 60 mit seinem besten Freund auf der Bühne zu sitzen. Die Haudegen Biographie ist auch die Geschichte des persönlichen Scheiterns, die Trennung von Frau und Familie, eine Narbe die nie heilt, aber ein Opfer das man bringen musste. Und auch wenn sich inzwischen alles ins Positive gewandelt hat, man muss mit den Tränen kämpfen, wenn erzählt wird, wie der Papa zum kleinen Nachwuchs sagt ich geh für immer, um danach heulend 30 Minuten im Auto zu sitzen. Es sind die traurigsten Momente des Abends, es gibt aber auch viele lustige, wie auch im Buch. So wie in Kapitel 24 als sie beschreiben wie sie das erste Mal über den roten Teppich bei der Echoverleihung schreiten, oder eher walzen, die 2 Straßenköder aus Marzahn mit den vielen Tattoos. Denen die Plattenfirma geraten hatte, die Ketten, damaliges Statussymbol aus der Gegend wo sie herkommen, abzulegen. Heute tragen sie ja eher Bauchketten scherzten sie und erzählten dem Publikum die Story vom drängelnden Hintermann, der versuchte das Fleischgebirge Sven zu versetzen. Und was tut ein Junge von der Straße, der schiebt den Drängler zurück, auch wenn der sich als bleicher Imperator Marilyn Manson entpuppt. Nur mit Mühe konnte man wohl die anschließende Rauferei mit den 2 schwarzen Kolossen, die sich Haudegen daraufhin näherten verhindern. Nach diesem Erlebnis ging der Spießrutenlauf aber richtig los, berichteten sie gutgelaunt. Eine brüllende Fotografenschar, die sich wie Zirkusaffen gebären, führte dazu, dass die Fotos der beiden entsprechend aggressiv ausfielen, danach kam das Fernsehen und es ging von einem Inferno ins andere.
Großen Jubel gab es als die 2 ein Familientreffen im Vogtland ankündigten, alle Besucher würden sicher auch gerne zu einem Haudegen Konzert wiederkommen, so begeistert wie das aufmerksame Publikum den Song „Flügel und Schwert“ mitsang.
Wie das Buch endete auch die Lesung mit einem Nachwort, das beide zu einer ganz wichtigen persönlichen Stellungnahme nutzten. Weil sie (völlig richtig!) eine Verantwortung als Künstler sehen, einen Mut und eine Einstellung die man sich von vielen Musikern wünscht. Gerade ihnen, denen in ihrem Leben viel Hass entgegengeschlagen ist, die wegen den Tattoos und ihrer Statur als deutsche Wendekinder sehr schnell in die klassische Neonazischublade gesteckt wurden, können bestens nachvollziehen was es heißt, wenn Hass und Verachtung einen entgegengebracht wird. So wie den neu zu uns gekommenen Flüchtlingen. Etwas das den beiden Haudegen richtig Angst macht.
Und was passt da besser als mit dem Song „Zu Hause“ den Abend zu beenden. „Der Weg war lang. Komm in meinem Arm Du fühlst dich nach zuhause an“ singen sie und das Publikum singt begeistert mit.
Als letzte Zugabe folgt dann der Song „Nackt fotografieren“ und beendet einen nachdenklich machenden, sehr unterhaltsamen und ganz besonderen Haudegen Abend. Hagen Stoll und Sven Gillert sind auch im Erfolg genauso bodenständig geblieben. Sie haben es geschafft und man gönnt es den beiden Wonneproppen wie kaum einem anderen. Hagen, bei dem im Nightliner alles akkurat aufgeräumt ist und Sven bei dem immer eine Bombe einschlägt haben sich zum Glück als wohl talentiertestes musikalisches Türsteherpaar auf der Welt gefunden. Das Leben zweier Freunde niedergeschrieben in „Zusammen sind wir weniger allein“ ist es wert entdeckt und gelesen zu werden und jeder der die Möglichkeit hat, eine Haudegen-Lesung zu besuchen sollte es unbedingt tun. Es lohnt sich. Man wünscht sich mehr Gossenpoesie, wie sie ihre Musik bezeichnen, mehr Bands die so den Mund aufmachen und immer wieder Gutes tun, ohne dass es groß durch die Presse geht. So wie in Eisenach, wo man einen Eisenacher Bäcker einfach einen Song schenkt, um ein Kinderhospitz zu unterstützen. Oder wie in Jamel, wo man nach einem Brandanschlag auf eine Konzertlocation eine Hilfsaktion startete um nur einmal 2 Beispiele zu nennen.
Abschließend noch ein Satz zur Framus Music Hall und dem Sound an diesem Abend. Der hatte nämlich beste CD Qualität, vielleicht sogar noch besser. Denn gerade im hinteren Teil der Halle konnte man feststellen, dass die 2 an diesem Abend unplugged noch besser klingen als auf jeder CD. Besser geht es nicht.

Die Bilder des Abends

 
























































































































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