Marteria 2017
Ihr seid keine Maler nur weil ihr die Wahrheit vertuscht.   Marteria



Nürnberg, Arena 12.12.2017






Es war nicht der erste Auftritt von Marteria in Nürnberg. Angefangen hat alles im Hirsch. Mit gerade mal 39 Personen waren die Marteria-Konzerte am Anfang kein Kassenschlager, wie er dem Publikum erzählte. Für das nächste Konzert war dann der Löwensaal nötig und nun im Jahr 2017 präsentierte sich Marteria in einer nicht ganz ausverkauften Arena den Nürnberger Fans. Stets unterstützt vom Concertbüro Franken, das Marteria abgesehen vom Rock im Park Auftritt nun das größte Publikum in Nürnberg präsentieren konnte. Und das war zum größten Teil sehr jung. Rap und Hip-Hop sind also En Vogue bei den Teens. Schön, dass ein Konzertveranstalter einem Künstler die Treue hält, typisch für das Concertbüro Franken. Und Nürnberg dankte es ihnen mit einer großen Kulisse.

Marten Laciny, der Junge aus dem Rostocker Plattenbau hat es geschafft. Er hat alles richtig gemacht. Auch wenn ihm sicher nicht wenige früher für verrückt gehalten haben, Erfolgreicher Fußballer von Hansa Rostock und Dank Horst Hrubesch Mitglied der U 17 Nationalmannschaft hat er eine vorgezeichnete Fußballkarriere weggeworfen, als er 1999 von einem Modelscout in Amerika entdeckt wurde und u.a. für Diesel und Hugo Boss modelte. Da seine Liebe aber schon immer der Musik galt ging er zurück nach Deutschland und konzentrierte sich so erfolgreich auf seine Musikkarriere, dass er heute zu einem der populärsten Rapper/Hip Hopper des Landes geworden ist. Einer der wegen akutem Nierenversagen gar nicht mehr unter den Lebenden hätte sein können. Ein Warnschuss, der ankam und den Menschen Marteria viel bewusster und vernünftiger leben lässt. Wie populär er ist, zeigt zum Beispiel, dass er sämtliche Tickets seiner Clubtour innerhalb einer Minute verkaufte. Eine Popularität, die er nicht mit Frauenverachtenden Texten, rassistischen Sprüchen und sumpfsinnigen Songs und fragwürdigen Aktionen erlangte. Ganz im Gegenteil. Marteria ist da aus einem völlig anderem Holz geschnitzt und ein leuchtendes Vorbild für viele (Möchtegern Star-) Rapper oder Hip-Hopper. Feier eine Party mit der Marteria-Familie und feier das Leben sind sein Motto und das setzte er beeindruckend an diesem Abend um.  Es wurde eine großartige Party, eine beeindruckende Party der Marteria Familie. Man ließ sich nicht lange bitten, als er nach dem Auftakt mit den Songs „Rosswell“ und „Aliens“ das Publikum aufforderte, auch auf den Sitzplätzen aufzustehen um Regel 1 umzusetzen, denn „das ist ein Marteria Konzert, und da stehen alle auf“. Und so wird von nun an gesprungen was das Zeug hält und die Hände von über 6000 Menschen wippen im Takt auf und nieder. Besonders spektakulär ist das nach „Endboss“ und dem Song Scotty RMX" mit seinem wunderschönen Refrain beim vielleicht musikalisch stärksten Lied des Abends El Presidente" zu sehen. Hier macht Marteria den Südamerikanischen Bands überzeugend Konkurrenz und zeigt wie abwechslungsreich seine Musik sein kann. Natürlich wird neben der Aerobic Einheit auch viel fürs Auge geboten. Wie beim Song Bengalische Tiger mit einem Bengalo in der Hand oder beim Marsimoto Song „Döner“ als er mit einem überdimensionierten Sternenwerfer das ganz in grün gehaltene Licht und die Nebelwand durchbrach. Die Bühne war so gebaut, dass er wie beim Song „Alles Verboten“ dem Publikum jederzeit ganz nah sein konnte. So nah, dass er nicht nur auf dem Absperrgitter singend, sondern auch als Crowdsurfer unterwegs war. Dass es Marteria auch perfekt versteht mit ruhigerem Material zu begeistert zeigte ein Song wie „Tauchstation“. Nach dem Song „Neue Nikes“ kam dann das Marteria Fanlied schlechthin „Marteria Girl“ zum Einsatz, bei dem Marteria die Jungs aufforderte die Mädels nach oben auf die Schulter zu nehmen, was auch beeindruckend viele taten. „Louis“ der Song für seinen Sohn, „Verstrahlt“ und „das Geld muss weg“ mit fliegenden Geldscheinen im Publikum und winkender Chinakatze auf der Leinwand überzeugten ebenfalls, bis sich danach die Bühne grün verfärbte der Nebel nur so waberte und Marteria als Marsimoto sein zweites musikalisches Ego auslebte. Als Marsmensch verkleidet betrat Marsimoto die Bühne zum Song „grüner Samt“ und mit gepitchter Stimme stimmte er danach den nächsten Marsimoto Song „kleine Bühne“ an. 

Der Song hat sicher wie manches in den Marteria/Marsimoto Songs autobiografische Züge, kennt er diese Situation doch selbst aus seiner musikalischen  Vergangenheit. Jeder sollte mal darüber nachdenken, wie recht Marteria damit hat, wenn er singt:


Auf dem Festivalgelände da steht 'ne kleine Bühne
Auf ihr stehen keine Stars, trotzdem hat sie Gefühle
Der Mischer ist 'n Rocker und pennt die ganze Zeit
Ganz ehrlich, die kleine Bühne tut mir Leid
Meistens sitzen sechs Hippies vor ihr in 'nem Schneidersitz
Man hat keine Fans, nur weil man ein bisschen kleiner ist
Das Licht ist 'n Witz, und die alten Boxen rauschen
Die kleine Bühne hat's so satt, würd' so gerne mal tauschen
Einfach mal groß sein und im Scheinwerferlicht
Kleine Bühne, deshalb schreib' ich für dich
Auf der großen spielen die Foo Fighters und U2
Auf der kleinen spielt meistens nur ein Didgeridoo

Eine kleine Bühne, guck doch mal vorbei, was da so geht


 

Und damit verbindet er auch einen ganz wichtigen Appell an sein Publikum. Es sind nämlich wirklich nicht nur die sogenannten Megastars, die einen Konzertbesuch wert sind. Es gibt soviel tolle Künstler die es verdienen gehört, entdeckt und geschätzt zu werden. Aber zurück zu Marsimoto der mit Chicken Maske einen ganz neuen Song anstimmt mit Breitseite in Richtung Werder Bremens schrecklichen Trikotsponsor um danach im Song „Der Nazi und das Gras“ die nächste Breitseite abzufeuern.

Da alle Marsimoto Songs wenig Abwechslung boten und auch die Showeffekte dies nicht aufwiegen konnten, hatte der Konzertabend aus meiner Sicht hier seine schwächste Phase erreicht. Die stärkste kam sofort danach, als Marteria wieder als Materia die Bühne betrat und OMG" anstimmte. Nun ging die Party erst so richtig los, und die Arena entwickelte sich beim Song „Kids“ zum Tollhaus, während die Schlagworte des Songs der Reihe nach auf der Leinwand auftauchten und das Publikum lautstark seinen bisher wohl größten Hit mitsang. „Lila Wolken“ stand dem in nichts nach, zwar ohne Miss Platinum dafür konnte aber auch hier, wie so oft an diesem Abend, eine der Chorladys ihre Klasse unter Beweis stellen. Den Gänsehautfaktor konnte er dann beim Song „Welt der Wunder“ noch steigern, auch Dank eines unfassbaren Publikums-Lichtermeers, der sicher bestimmt von der Bühne auch für die Akteure unvergessliche Bilder ins Gehirn zauberten. Der Mitmachhöhepunkt war dann mit „Feuer“ gekommen, Pyrotechnik wurde abgefeuert, der komplette Innenraum setzte sich nach Aufforderung nieder um sich nach Ablauf des Countdowns in eine einzige springende Masse zu verwandeln. Marsimoto tauchte mit Megafon auf und der gnadenlose Sprungworkout nahm seinen Lauf.Auch die Luftschlangenkanone kam endlich zum Einsatz.

Um die absolute Eskalation unter Freunden noch zu steigern forderte er alle auf, die T-Shirts auszuziehen, damit man damit mal so richtig die Luft durchwirbeln kann. War das schon von den Rängen ein Wahnsinnsanblick, hatte er für einige glückliche Halbnackte die zur halbnackten Band auf die Bühne durften, einen noch weitaus besseren Blick zu bieten. Die Krönung des ganzen war dann die Aufforderung die T-Shirts, wenn dann in „20 Sekunden“ der Beat wieder einsetzt wegzuwerfen „ist ja schließlich Sommer“ und so flogen sie 1000fach im hohen Bogen durch die Arena. Nicht schlimm, wenn die Dinger weg sind, man konnte sich ja danach am Merch mit dem ehrlichsten T-Shirt ever  (siehe Foto) für satte 25 Euro neu einkleiden.

Um bei „die letzten 20 Sekunden“ die Sprung- Workouts ganz auf die Spitze zu treiben, dazwischen gab es für das voll mitgehende Sprungvolk immer kurze Erholungspausen, forderte er das Publikum zur Bildung einer Gasse und eines großen Kreises auf und schwupp war er dann mutig mittendrin und in der Menge verschwunden.
Und ganz zum Schluss bewies der Rap-Superstar, der sich wohltuend normal und völlig ohne Starallüren und Berührungsängste präsentierte, als bestens geübter Papa mit großem Herz für Kids. So nahm er einen kleinen Jungen aus dem Publikum auf seine Schultern und selbst als die Halle sich schon zum Teil leerte stand er und Band noch immer auf der Bühne, einschließlich einer hochschwangeren Chorsängerin und man feierte den Abend und das Leben. Genauso liebevoll und dankbar hat er übrigens zuvor seine Band und Mitmusiker vorgestellt, u.a. dabei auch ein ehemaliger Hansa Fußballkollege Nobodys Face mit der er gemeinsam nun schon 28 Jahre auf der Bühne steht und eine großartige Chorsängerin und Rapperin aus Brasilien. Und um ganz zum Schluss auch das noch einmal in aller Deutlichkeit zu erwähnen, Marteria stand auch halbnackt auf der Bühne und sein Körper hat mit dem des damaligen Models sicher inzwischen recht wenig gemein. Das ist auch eine Botschaft, die gerade bei den Teens hoffentlich irgendwann ankommt. Es kommt einfach nicht auf Figur und Gewicht und den perfekten Körper an, die Hauptsache der Mensch strahlt. Der Mensch, seine Menschlichkeit und seine Ausstrahlung zählen, nicht irgendein Bodymaßindex. Und davon hat ein authentischer Sänger Marteria extrem viel zu bieten und das ist meiner Meinung nach trotz der unbestrittenen Fähigkeit Songs zu schreiben (übrigens zum Beispiel auch fürs neueste Album der Toten Hosen) sicher sein größtes Pfund, um bis heute so erfolgreich geworden zu sein und sich so einen gewaltigen Fankreis erspielt zu haben. Und der wird weiter wachsen, wenn er seinen Stil beibehält und seine Texte so wohltuend anders sind als die vieler Rapper. Mit Platz für Gesellschaftskritik, Selbstironie und vielen ins Ohr gehenden Refrains. So kann auch ein Nicht- Rap-
musikfan den Songs sicher einiges abgewinnen, und das kann man wohl nur bei wenigen Rappern mit Sicherheit behaupten.  

Eins muss man trotz aller Begeisterung relativ nüchtern aber auch feststellen. Was Lightshow und Showeffekte betrifft geht noch viel, da kann man bei dem einen oder anderen Act der nicht mit zig Sattelschleppern unterwegs ist spektakuläreres sehen. Auch was den Sound betrifft hat Materia noch Luft nach oben, wobei man schon fairerweise feststellen muss, dass die Arena sicher nicht die besten akustischen Voraussetzungen hat und es auch darauf ankommt, wo in der Halle man sich gerade befindet, um den Sound zu genießen.

Einer der Marteria Familie und der Band an diesem Abend, nämlich Kid Simius durfte mit Bruder schon als Supportact überzeugend  für Stimmung sorgen. Mit einem DJ-Set und einer Musik die zeitweise etwas an Schiller erinnerte und gerade live durchaus seinen Reiz hat.




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