Es war nicht der erste Auftritt von Marteria in Nürnberg.
Angefangen hat alles im Hirsch. Mit gerade mal 39 Personen waren die Marteria-Konzerte
am Anfang kein Kassenschlager, wie er dem Publikum erzählte. Für das nächste Konzert war
dann der Löwensaal nötig und nun im Jahr 2017 präsentierte sich Marteria in
einer nicht ganz ausverkauften Arena den Nürnberger Fans. Stets unterstützt vom
Concertbüro Franken, das Marteria abgesehen vom Rock im Park Auftritt nun das
größte Publikum in Nürnberg präsentieren konnte. Und das war zum größten Teil
sehr jung. Rap und Hip-Hop sind also En Vogue bei den Teens. Schön, dass ein
Konzertveranstalter einem Künstler die Treue hält, typisch für das Concertbüro
Franken. Und Nürnberg dankte es ihnen mit einer großen Kulisse.
Marten Laciny, der Junge aus dem Rostocker Plattenbau hat es
geschafft. Er hat alles richtig gemacht. Auch wenn ihm sicher nicht wenige früher
für verrückt gehalten haben, Erfolgreicher Fußballer von Hansa Rostock und Dank
Horst Hrubesch Mitglied der U 17 Nationalmannschaft hat er eine vorgezeichnete Fußballkarriere
weggeworfen, als er 1999 von einem Modelscout in Amerika entdeckt wurde und u.a.
für Diesel und Hugo Boss modelte. Da seine Liebe aber schon immer der Musik galt
ging er zurück nach Deutschland und konzentrierte sich so erfolgreich auf seine
Musikkarriere, dass er heute zu einem der populärsten Rapper/Hip Hopper des
Landes geworden ist. Einer der wegen akutem Nierenversagen gar nicht
mehr unter den Lebenden hätte sein können. Ein Warnschuss, der ankam und den Menschen
Marteria viel bewusster und vernünftiger leben lässt. Wie populär er ist, zeigt
zum Beispiel, dass er sämtliche Tickets seiner Clubtour innerhalb einer Minute
verkaufte. Eine Popularität, die er nicht mit Frauenverachtenden Texten,
rassistischen Sprüchen und sumpfsinnigen Songs und fragwürdigen Aktionen
erlangte. Ganz im Gegenteil. Marteria ist da aus einem völlig anderem Holz
geschnitzt und ein leuchtendes Vorbild für viele (Möchtegern Star-) Rapper oder
Hip-Hopper. Feier eine Party mit der Marteria-Familie und feier das Leben sind sein Motto und das
setzte er beeindruckend an diesem Abend um.
Es wurde eine großartige Party, eine beeindruckende
Party der Marteria Familie. Man ließ sich nicht lange bitten, als
er nach dem Auftakt mit den Songs „Rosswell“
und „Aliens“ das Publikum aufforderte, auch auf den
Sitzplätzen aufzustehen um
Regel 1 umzusetzen, denn „das ist ein Marteria Konzert, und da
stehen alle auf“.
Und so wird von nun an gesprungen was das Zeug hält und die
Hände von über 6000
Menschen wippen im Takt auf und nieder. Besonders spektakulär ist
das nach „Endboss“
und dem Song „Scotty RMX" mit seinem wunderschönen Refrain beim vielleicht
musikalisch stärksten Lied des Abends „El Presidente" zu sehen. Hier macht
Marteria den Südamerikanischen Bands überzeugend Konkurrenz und zeigt wie
abwechslungsreich seine Musik sein kann. Natürlich wird neben der Aerobic
Einheit auch viel fürs Auge geboten. Wie beim Song Bengalische Tiger mit einem
Bengalo in der Hand oder beim Marsimoto Song „Döner“ als er mit einem
überdimensionierten Sternenwerfer das ganz in grün gehaltene Licht und die
Nebelwand durchbrach. Die Bühne war so gebaut, dass er wie beim Song „Alles
Verboten“ dem Publikum jederzeit ganz nah sein konnte. So nah, dass er nicht
nur auf dem Absperrgitter singend, sondern auch als Crowdsurfer unterwegs war. Dass
es Marteria auch perfekt versteht mit ruhigerem Material zu begeistert zeigte
ein Song wie „Tauchstation“. Nach dem Song „Neue Nikes“ kam dann das Marteria
Fanlied schlechthin „Marteria Girl“ zum Einsatz, bei dem Marteria die Jungs
aufforderte die Mädels nach oben auf die Schulter zu nehmen, was auch
beeindruckend viele taten. „Louis“ der Song für seinen Sohn, „Verstrahlt“
und „das Geld muss weg“ mit fliegenden Geldscheinen im Publikum und winkender Chinakatze
auf der Leinwand überzeugten ebenfalls, bis sich danach die Bühne grün verfärbte
der Nebel nur so waberte und Marteria als Marsimoto sein zweites musikalisches Ego auslebte. Als
Marsmensch verkleidet betrat Marsimoto die Bühne zum Song „grüner Samt“ und mit gepitchter
Stimme stimmte er danach den nächsten Marsimoto Song „kleine Bühne“ an.
Der Song hat sicher wie manches in
den Marteria/Marsimoto
Songs autobiografische Züge, kennt er diese Situation doch selbst
aus seiner musikalischen Vergangenheit. Jeder sollte mal
darüber nachdenken, wie recht Marteria
damit hat, wenn er singt:
Auf dem Festivalgelände da steht 'ne kleine Bühne
Auf ihr stehen keine Stars, trotzdem hat sie Gefühle
Der Mischer ist 'n Rocker und pennt die ganze Zeit
Ganz ehrlich, die kleine Bühne tut mir Leid
Meistens sitzen sechs Hippies vor ihr in 'nem Schneidersitz
Man hat keine Fans, nur weil man ein bisschen kleiner ist
Das Licht ist 'n Witz, und die alten Boxen rauschen
Die kleine Bühne hat's so satt, würd' so gerne mal tauschen
Einfach mal groß sein und im Scheinwerferlicht
Kleine Bühne, deshalb schreib' ich für dich
Auf der großen spielen die Foo Fighters und U2
Auf der kleinen spielt meistens nur ein Didgeridoo
Eine kleine Bühne, guck doch mal vorbei, was da so
geht
Und damit verbindet er auch einen ganz wichtigen Appell an
sein Publikum. Es sind nämlich wirklich nicht nur die sogenannten Megastars, die
einen Konzertbesuch wert sind. Es gibt soviel tolle Künstler die es verdienen
gehört, entdeckt und geschätzt zu werden. Aber zurück zu Marsimoto der mit
Chicken Maske einen ganz neuen Song anstimmt mit Breitseite in Richtung Werder
Bremens schrecklichen Trikotsponsor um danach im Song „Der Nazi und das Gras“
die nächste Breitseite abzufeuern.
Da alle Marsimoto Songs wenig Abwechslung boten und auch die
Showeffekte dies nicht aufwiegen konnten, hatte der Konzertabend aus meiner Sicht
hier seine schwächste Phase erreicht. Die stärkste kam sofort danach, als Marteria
wieder als Materia die Bühne betrat und „OMG" anstimmte. Nun ging die Party erst
so richtig los, und die Arena entwickelte sich beim Song „Kids“ zum Tollhaus,
während die Schlagworte des Songs der Reihe nach auf der Leinwand auftauchten
und das Publikum lautstark seinen bisher wohl größten Hit mitsang. „Lila Wolken“
stand dem in nichts nach, zwar ohne Miss Platinum dafür konnte aber auch hier, wie
so oft an diesem Abend, eine der Chorladys ihre Klasse unter Beweis stellen. Den Gänsehautfaktor
konnte er dann beim Song „Welt der Wunder“ noch steigern, auch Dank eines
unfassbaren Publikums-Lichtermeers, der sicher bestimmt von der Bühne auch für die
Akteure unvergessliche Bilder ins Gehirn zauberten. Der Mitmachhöhepunkt war
dann mit „Feuer“ gekommen, Pyrotechnik wurde abgefeuert, der komplette Innenraum
setzte sich nach Aufforderung nieder um sich nach Ablauf des Countdowns in eine
einzige springende Masse zu verwandeln. Marsimoto tauchte mit Megafon auf und
der gnadenlose Sprungworkout nahm seinen Lauf.Auch die Luftschlangenkanone kam
endlich zum Einsatz.
Um die absolute
Eskalation unter Freunden noch zu steigern forderte er alle auf, die T-Shirts
auszuziehen, damit man damit mal so richtig die Luft durchwirbeln kann. War das
schon von den Rängen ein Wahnsinnsanblick, hatte er für einige glückliche Halbnackte
die zur halbnackten Band auf die Bühne durften, einen noch weitaus besseren
Blick zu bieten. Die Krönung des ganzen war dann die Aufforderung die T-Shirts,
wenn dann in „20 Sekunden“ der Beat wieder einsetzt wegzuwerfen „ist ja
schließlich Sommer“ und so flogen sie 1000fach im hohen Bogen durch die Arena. Nicht
schlimm, wenn die Dinger weg sind, man konnte sich ja danach am Merch mit dem
ehrlichsten T-Shirt ever (siehe Foto) für
satte 25 Euro neu einkleiden.
Um bei „die letzten 20 Sekunden“ die Sprung- Workouts ganz
auf die Spitze zu treiben, dazwischen gab es für das voll mitgehende Sprungvolk
immer kurze Erholungspausen, forderte er das Publikum zur Bildung einer Gasse
und eines großen Kreises auf und schwupp war er dann mutig mittendrin und in der
Menge verschwunden.
Und ganz zum Schluss bewies der Rap-Superstar, der sich wohltuend
normal und völlig
ohne Starallüren und Berührungsängste präsentierte,
als bestens geübter Papa mit
großem Herz für Kids. So nahm er einen kleinen Jungen aus
dem Publikum auf
seine Schultern und selbst als die Halle sich schon zum Teil leerte
stand er
und Band noch immer auf der Bühne, einschließlich einer
hochschwangeren Chorsängerin
und man feierte den Abend und das Leben. Genauso liebevoll und dankbar
hat er übrigens
zuvor seine Band und Mitmusiker vorgestellt, u.a. dabei auch ein
ehemaliger
Hansa Fußballkollege Nobodys Face mit der er gemeinsam nun schon
28 Jahre auf
der Bühne steht und eine großartige Chorsängerin und
Rapperin aus Brasilien. Und
um ganz zum Schluss auch das noch einmal in aller Deutlichkeit zu
erwähnen, Marteria
stand auch halbnackt auf der Bühne und sein Körper hat mit
dem des damaligen
Models sicher inzwischen recht wenig gemein. Das ist auch eine
Botschaft, die
gerade bei den Teens hoffentlich irgendwann ankommt. Es kommt einfach
nicht auf
Figur und Gewicht und den perfekten Körper an, die Hauptsache der
Mensch
strahlt. Der Mensch, seine Menschlichkeit und seine Ausstrahlung
zählen, nicht
irgendein Bodymaßindex. Und davon hat ein authentischer
Sänger Marteria extrem viel zu bieten und das ist
meiner Meinung nach trotz der unbestrittenen Fähigkeit Songs zu
schreiben
(übrigens zum Beispiel auch fürs neueste Album der Toten
Hosen) sicher sein größtes Pfund, um bis heute so
erfolgreich geworden zu sein und sich so einen gewaltigen
Fankreis erspielt zu haben. Und der wird weiter wachsen, wenn er seinen
Stil
beibehält und seine Texte so wohltuend anders sind als die vieler
Rapper. Mit
Platz für Gesellschaftskritik, Selbstironie und vielen ins Ohr
gehenden
Refrains. So kann auch ein Nicht- Rap-
musikfan den Songs sicher einiges abgewinnen, und das kann man wohl nur
bei wenigen Rappern mit Sicherheit behaupten.
Eins muss man trotz aller
Begeisterung relativ nüchtern aber auch feststellen. Was Lightshow
und Showeffekte betrifft geht noch viel, da kann man bei dem einen oder
anderen Act der nicht mit zig Sattelschleppern unterwegs ist
spektakuläreres sehen. Auch was den Sound betrifft hat Materia
noch Luft nach oben, wobei man schon fairerweise feststellen muss, dass
die Arena sicher nicht die besten akustischen Voraussetzungen hat und
es auch darauf ankommt, wo in der Halle man sich gerade befindet, um
den Sound zu genießen.
Einer der Marteria Familie und der
Band an diesem Abend, nämlich Kid Simius durfte mit Bruder schon
als Supportact überzeugend für Stimmung sorgen. Mit
einem DJ-Set und einer Musik die zeitweise etwas an Schiller erinnerte
und gerade live durchaus seinen Reiz hat.
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