Kettcar 2017
Jedes Ding hat 3 Seiten. EIne Seite die Du siehst, eine Seite die ich sehe und eine Seite,
die wir beide nicht sehen.  Chinesische Weisheit



Nürnberg, Hirsch 05.01.2018


Sie sind schon etwas Besonderes, die Hamburger von Kettcar. Es gibt relativ wenig Bands bei der sich Publikum und die Musikkritiker so einig sind. Entweder das Publikum mag die Musik, dafür die Kritiker nicht, oft ist es aber genau umgekehrt. Bei Kettcar ist das anders, ein ausverkauftes Erlanger E-Werk zeigt, dass die Kritikerlieblinge auch beim Publikum richtig gut ankommen. Ohne Heavy Rotation in den Radiosendern übrigens. Es gibt aber noch weit mehr, was Kettcar so besonders macht. Zum Beispiel Textzeilen wie „Solange die dicke Frau noch singt, ist die Oper nicht zu Ende“. Oder „Überall besorgte Bürger, die besorgte Bürger suchen“. Auch nett „Irgendwann ist irgendwie ein anders Wort für nie“, „das Gegenteil von gut ist gut gemeint“ nicht zu vergessen natürlich „Wenn Du das Radio ausmachst, wird die Scheißmusik auch nicht besser“. Das könnte man beliebig fortsetzen.

Nur einige Beispiele für den kreativen Output einer Band, die es großartig versteht Geschichten zu erzählen und mit der Sprache zu spielen. Exemplarisch sei hier nur der Song „Es war im Sommer 89“ erwähnt, Als „Er“ mit seinem alten himmelblauen Ford Granada ins Burgenland fuhr, um Löcher in den ungarischen Grenzzaun zu schneiden. Wäre der wunderbare Refrain nicht, käme man gar nicht auf die Idee, dass es sich hier um ein Lied handelt und Kettcar macht mit einem catchy Refrain ein wunderschönes Stück Musik daraus. Catchy Refrains, auch da sind Kettcar mit einem ganz besonderen Talent gesegnet.

Schade, dass das Highlight der neuesten CD „Ich vs. Wir“ im Konzert trotz der intensiven Bilder auf der Videowand leider etwas unterging. 57 Jahre nach Beginn des Mauerbaus gibt Kettcar damit auch ein Statement zur aktuellen Flüchtlingskrise ab und setzt Menschen, die selbstlos anderen helfen ohne zuvor das Für und Wieder zu diskutieren ein kleines musikalisches Denkmal. Nicht mit dem Holzhammer, eher subtil, Kettcar halt. Damit bleiben Sie sich, und nicht nur mit diesem Song, selbst treu und beweisen auch 17 Jahre nach Bandgründung, dass sie es, wie kaum eine andere Deutsche Band perfekt verstehen, Politik und Musik zu verbinden. Ohne, wie schon gesagt, den Holzhammer rauszuholen, aber um Finger in Wunden zu legen und zum Nachdenken anzuregen. Wenn man die Herren jenseits der 40 so beobachtet glaubt man gar nicht, dass die Bandwurzeln im Punk liegen.  Auch wenn während des Konzertes einmal so ganz kurz der Punker im Herzen aufblitzt und Marcus Wiebusch das Publikum auffordert auszurasten. Das taten dann einige auch, sehr zum Verdruss anderer und es kam etwas Bewegung ins Volk. Trotzdem war es schon erstaunlich, wie zurückhaltend und emotionslos man auf den Kettcar Auftritt reagierte. Selbst der Mitsingpegel, war erstaunlich leise, trotz fleißig mitsingenden Männern im Publikum, was ja auch nicht immer eine Selbstverständlichkeit ist. Woran das lag ist schwer zu sagen, ob deshalb der Kettcar-Gig irgendwie nicht so ganz zündete wie erwartet, ebenso. Auch als Wiebusch, typisch Emo-Punkband wie er sagte, den Emo-Block mit 3 Liebesliedern ankündigte und feststellte, dass in Schweden der Mittwoch als kleiner Samstag gilt und man es deshalb mal so richtig krachen lassen kann, wollte das Publikum nicht so wirklich aus sich herausgehen. Immerhin ließ sich jemand zu einem Kommentar hinreißen, worauf Marcus Wiebusch trocken konterte „Das war bestimmt ein wichtiger Beitrag, hab ihn nur nicht verstanden“ und nicht nur einmal an diesem Abend Humor bewies. So stellte er trocken beim Geburtstagsständchen für ein Bandmitglied fest, „man wird halt nur einmal 20“. Um danach gemeinsam mit dem Publikum ein Happy Birthday anzustimmen.

 

Eines der 3 Liebeslieder ist typisch Kettcar ein böses Liebeslied, wie er sagte, das geht nicht gut aus und der Song „48 Stunden“ begann. Angefangen hatte man den Abend mit „Trostbrücke Süd“, ebenfalls ein großartiges Stück auf dem neuen Album. Auch „Graceland“ und „Wagenburg“ gab es u.a. zuvor zu hören und mit „Balu“, „Benzin und Kartoffelchips“ und „Tränengas im High-End-Leben“ ging es dann weiter. Ein visuelles Highlight des Abends ist sicher die Lichterwand im Hintergrund. Hier werden nicht nur die Bilder einer Flucht gezeigt, man sieht ein landendes Flugzeug, befindet sich passend zum Song am Flughafen wieder, zaubert stimmungsvolle Nebelbilder in die Halle, die so perfekt zur Kettcar-Musik passen oder verwandelt bei der Zugabe den Bühnenhintergrund in eine riesige Scheinwerferwand vor der die 5 in stylischem schwarz gekleideten aufspielenden Musiker besonders gut zur Geltung kamen.

Mit 4 Songs fällt auch die Zugabe reichlich aus und startet mit einem Song den Marcus Wibusch all jenen widmet, die weiter hinten stehen. Dort wo mehr gesappelt wird, als Musik gehört. Und so startete man dem Song „Billigen Plätze“ um danach mit einem Coversong von Sänger Marcus Wiebusch für sein Soloalbum auch mal etwas den Hip-Hop bzw. Rap zu streifen. Es lohnt übrigens einmal das Video zum Song anzuschauen, wer es noch nie getan hat. Mittels Crowdfunding wurden über 54.000 Euro gesammelt und über 1000 Menschen wirkten mit um ein Zeichen für Toleranz, Freiheit und gegen homophobe Vollidioten zu setzen.

Und so betonte Wiebusch in der Anmoderation, dass Kettcar ja bekannt dafür seien, ihr Publikum nicht zu irgendeinen Quatsch aufzufordern. Aber es wäre schon schön, wenn man nach der Textzeile „“Erdan seid ihr mit mir“ alle mit flacher Hand mit einer typischen Hip Hop Geste das Lied visuell unterstützen könnten. Zwei Drittel ließen sich erweichen und bewegten im Hip-Hop-Rhythmus des Songs die Hand auf und nieder. Der Song zeigt übrigens gut, dass Kettcar auch in diesem Musikgenre die Szene mächtig aufmischen könnten. Da dürfte sich so manch ein Hip-Hopper warm anziehen. Mit den folgenden Songs „Ich danke der Academy“ und „Landungsbrücken raus“ hatte das Konzert nun seinen absoluten Höhepunkt erreicht und Kettcar verschwanden nach einer kurzen Verabschiedung ins Backstage. Um kurz danach unter dem Jubel des Publikums noch ein weiteres Lied nachzulegen. Ein Rausschmeißer sozusagen, ein Song der mal nicht nur Gegen und Anti ist, wie Wiebusch über die Entstehungsgeschichte des Songs erzählte. Das Ergebnis, typisch Kettcar ist dann „Revolver entsichern“ geworden. Kein schlechter Schlusspunkt, aber eigentlich hätte man sich den im Konzert und jetzt ganz zum Schluss „Sommer 89“ gewünscht. Es hätte dem 21 Songs umfassenden Auftritt gekrönt.


Kaum zu glauben, dass die Band am Anfang Probleme hatte, eine Plattenfirma zu finden. Kurzerhand gründete man das eigene Label Grand Hotel Van Cleef. Daraus ist so ganz nebenbei ein sehr bemerkenswertes Indielabel mit exzellenten Ruf entwickelt worden und wurde somit zum zweiten Standbein der Herren von Kettcar. Mit Bands und Künstler wie Maria Taylor, Olli Schulz, Thees Uhlmann, The Lion and the Cobra um nur ein paar zu nennen, sind Grand Hotel Van Cleef Veröffentlichungen immer lohnend zum reinhören, da macht auch Fortuna Ehrenfeld keine Ausnahme, der den Kettcar Auftritt als Vorband gleich noch viel vergnüglicher machten.

Fortuna Ehrenfeld


Hinter Fortuna Ehrenfeld steckt der Multiinstrumentalist Martin Bechler aus Köln. Der schlurft im Schlafanzug mit Bärentatzen-Schlappen und mit umgehängter Federboa auf die Bühne, Kaffeetasse in der Hand und Rotweinpulle in der anderen. Auch die nicht vorhandene Frisur deutet auf „gerade aufgewacht“ hin. Doch die optische Erscheinung täuscht. Bechler präsentiert sich als äußerst aufgeweckt und macht sich gleich mal bei allen AFD-Anhängern beliebt, die er auffordert den Saal zu verlassen. Solche Leute will er nicht auf seinen Konzerten haben. Seine geäußerte Sorge, einmal danach ganz allein in der Halle zu stehen, kann man allerdings nicht teilen. Denn AFD-Anhänger sind nicht die klassischen Fortuna Ehrenfeld-Hörer. Definitiv nicht.
Die anspruchsvolle Popmusik ist eh nicht massenkompatibel, nicht vergleichbar mit den Bouranis, Giesingers, Benzkos, Fosters und wie sie alle heißen, die gerade in den Charts rauf und runter gespielt werden. Da ist kein Platz für die heile "Schlager-Welt" sondern für melancholisch Trauriges, tiefsinnig Hintergründiges oder sparsam instrumentalisiert Minimalistisches ala Fortuna Ehrenfeld. Und so geht es auch nicht um die großen Liebesgefühle in den Songs, sondern um den Puff von Barcelona, Glitzerschweine, das letzte Kommando, analoge Mädchen, das heilige Kanonenrohr, oder die Bumsrepublik um nur mal ein paar Songtitel seiner bisher 2 erschienenen Alben zu erwähnen.


Und so singt er mit einer dunklen leicht „versoffenen“ Stimme an diesem Tag „Ein Tag zum Vergessen, ein Tag wie ein Schwein – zum Töten zu rosa, zum Fressen zu klein.“ Leider fast im dunklen. Denn das ist das einzige Manko des Auftritts, die Beleuchter hatten wohl noch frei. Selten ein so schlecht ausgeleuchtetes Konzert erlebt, wie das von Fortuna Ehrenfeld. Das wird hoffentlich im März, wenn Fortuna Ehrenfeld wieder auf Tour sind und noch einmal im E-Werk, aber auch in Bayreuth und Hof zu erleben sind, besser.




Die Bildergalerien des Abends


Kettcar























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Fortuna Ehrenfeld























































































































































































































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