mit
Fortuna
Ehrenfeld
Kettcar
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Nürnberg, Hirsch 05.01.2018
Sie sind schon etwas Besonderes, die
Hamburger von Kettcar. Es gibt relativ wenig Bands bei der sich Publikum und
die Musikkritiker so einig sind. Entweder das Publikum mag die Musik, dafür die
Kritiker nicht, oft ist es aber genau umgekehrt. Bei Kettcar ist das
anders, ein ausverkauftes Erlanger E-Werk zeigt, dass die Kritikerlieblinge
auch beim Publikum richtig gut ankommen. Ohne Heavy Rotation in den
Radiosendern übrigens. Es gibt aber noch weit mehr, was Kettcar so besonders
macht. Zum Beispiel Textzeilen wie „Solange die dicke Frau noch singt, ist die
Oper nicht zu Ende“. Oder „Überall besorgte Bürger, die besorgte Bürger
suchen“. Auch nett „Irgendwann ist irgendwie ein anders Wort für nie“, „das
Gegenteil von gut ist gut gemeint“ nicht zu vergessen natürlich „Wenn Du das
Radio ausmachst, wird die Scheißmusik auch nicht besser“. Das könnte man
beliebig fortsetzen.
Nur einige Beispiele für den kreativen
Output einer Band, die es großartig versteht Geschichten zu erzählen und mit
der Sprache zu spielen. Exemplarisch sei hier nur der Song „Es war im Sommer
89“ erwähnt, Als „Er“ mit seinem alten himmelblauen Ford Granada ins Burgenland
fuhr, um Löcher in den ungarischen Grenzzaun zu schneiden. Wäre der wunderbare
Refrain nicht, käme man gar nicht auf die Idee, dass es sich hier um ein Lied
handelt und Kettcar macht mit einem catchy Refrain ein wunderschönes Stück
Musik daraus. Catchy Refrains, auch da sind Kettcar mit einem ganz besonderen
Talent gesegnet.
Schade, dass das Highlight der neuesten CD
„Ich vs. Wir“ im Konzert trotz der intensiven Bilder auf der Videowand leider
etwas unterging. 57 Jahre nach Beginn des Mauerbaus gibt Kettcar damit auch ein
Statement zur aktuellen Flüchtlingskrise ab und setzt Menschen, die selbstlos
anderen helfen ohne zuvor das Für und Wieder zu diskutieren ein kleines
musikalisches Denkmal. Nicht mit dem Holzhammer, eher subtil, Kettcar halt.
Damit bleiben Sie sich, und nicht nur mit diesem Song, selbst treu und beweisen
auch 17 Jahre nach Bandgründung, dass sie es, wie kaum eine andere Deutsche Band
perfekt verstehen, Politik und Musik zu verbinden. Ohne, wie schon
gesagt, den Holzhammer rauszuholen, aber um Finger in Wunden zu legen und
zum Nachdenken anzuregen. Wenn man die Herren jenseits der 40 so beobachtet
glaubt man gar nicht, dass die Bandwurzeln im Punk liegen. Auch wenn
während des Konzertes einmal so ganz kurz der Punker im Herzen aufblitzt und
Marcus Wiebusch das Publikum auffordert auszurasten. Das taten dann einige
auch, sehr zum Verdruss anderer und es kam etwas Bewegung ins Volk.
Trotzdem war es schon erstaunlich, wie zurückhaltend und emotionslos man auf
den Kettcar Auftritt reagierte. Selbst der Mitsingpegel, war erstaunlich leise,
trotz fleißig mitsingenden Männern im Publikum, was ja auch nicht immer
eine Selbstverständlichkeit ist. Woran das lag ist schwer zu sagen, ob deshalb
der Kettcar-Gig irgendwie nicht so ganz zündete wie erwartet, ebenso. Auch als
Wiebusch, typisch Emo-Punkband wie er sagte, den Emo-Block mit 3 Liebesliedern
ankündigte und feststellte, dass in Schweden der Mittwoch als kleiner Samstag
gilt und man es deshalb mal so richtig krachen lassen kann, wollte das Publikum
nicht so wirklich aus sich herausgehen. Immerhin ließ sich jemand zu einem Kommentar
hinreißen, worauf Marcus Wiebusch trocken konterte „Das war bestimmt ein
wichtiger Beitrag, hab ihn nur nicht verstanden“ und nicht nur einmal an diesem
Abend Humor bewies. So stellte er trocken beim Geburtstagsständchen für
ein Bandmitglied fest, „man wird halt nur einmal 20“. Um danach gemeinsam mit dem
Publikum ein Happy Birthday anzustimmen.
Eines der 3 Liebeslieder ist typisch
Kettcar ein böses Liebeslied, wie er sagte, das geht nicht gut aus und der Song
„48 Stunden“ begann. Angefangen hatte man den Abend mit „Trostbrücke Süd“,
ebenfalls ein großartiges Stück auf dem neuen Album. Auch „Graceland“ und
„Wagenburg“ gab es u.a. zuvor zu hören und mit „Balu“, „Benzin und
Kartoffelchips“ und „Tränengas im High-End-Leben“ ging es dann weiter. Ein visuelles
Highlight des Abends ist sicher die Lichterwand im Hintergrund. Hier werden
nicht nur die Bilder einer Flucht gezeigt, man sieht ein landendes Flugzeug,
befindet sich passend zum Song am Flughafen wieder, zaubert stimmungsvolle
Nebelbilder in die Halle, die so perfekt zur Kettcar-Musik passen oder
verwandelt bei der Zugabe den Bühnenhintergrund in eine riesige
Scheinwerferwand vor der die 5 in stylischem schwarz gekleideten aufspielenden
Musiker besonders gut zur Geltung kamen.
Mit 4 Songs fällt auch die Zugabe
reichlich aus und startet mit einem Song den Marcus Wibusch all jenen widmet,
die weiter hinten stehen. Dort wo mehr gesappelt wird, als Musik gehört. Und so
startete man dem Song „Billigen Plätze“ um danach mit einem Coversong von
Sänger Marcus Wiebusch für sein Soloalbum auch mal etwas den Hip-Hop bzw. Rap
zu streifen. Es lohnt übrigens einmal das Video zum Song anzuschauen, wer es
noch nie getan hat. Mittels Crowdfunding wurden über 54.000 Euro gesammelt und
über 1000 Menschen wirkten mit um ein Zeichen für Toleranz, Freiheit und gegen
homophobe Vollidioten zu setzen.
Und so betonte Wiebusch
in der Anmoderation, dass Kettcar ja bekannt dafür seien, ihr Publikum nicht zu
irgendeinen Quatsch aufzufordern. Aber es wäre schon schön, wenn man nach der
Textzeile „“Erdan seid ihr mit mir“ alle mit flacher Hand mit einer typischen
Hip Hop Geste das Lied visuell unterstützen könnten. Zwei Drittel ließen sich
erweichen und bewegten im Hip-Hop-Rhythmus des Songs die Hand auf und nieder.
Der Song zeigt übrigens gut, dass Kettcar auch in diesem Musikgenre die Szene
mächtig aufmischen könnten. Da dürfte sich so manch ein Hip-Hopper warm
anziehen. Mit den folgenden Songs „Ich danke der Academy“ und „Landungsbrücken
raus“ hatte das Konzert nun seinen absoluten Höhepunkt erreicht und Kettcar
verschwanden nach einer kurzen Verabschiedung ins Backstage. Um kurz danach
unter dem Jubel des Publikums noch ein weiteres Lied nachzulegen. Ein Rausschmeißer
sozusagen, ein Song der mal nicht nur Gegen und Anti ist, wie Wiebusch über die
Entstehungsgeschichte des Songs erzählte. Das Ergebnis, typisch Kettcar ist
dann „Revolver entsichern“ geworden. Kein schlechter Schlusspunkt, aber
eigentlich hätte man sich den im Konzert und jetzt ganz zum Schluss „Sommer 89“
gewünscht. Es hätte dem 21 Songs umfassenden Auftritt gekrönt.
Kaum zu glauben, dass die Band am
Anfang Probleme hatte, eine Plattenfirma zu finden. Kurzerhand
gründete man das eigene Label Grand Hotel Van Cleef. Daraus ist so
ganz nebenbei ein sehr bemerkenswertes Indielabel mit exzellenten Ruf
entwickelt worden und wurde somit zum zweiten Standbein der Herren von
Kettcar. Mit Bands und Künstler wie Maria Taylor, Olli Schulz,
Thees Uhlmann, The Lion and the Cobra um nur ein paar zu nennen, sind
Grand Hotel Van Cleef Veröffentlichungen immer lohnend zum
reinhören, da macht auch Fortuna Ehrenfeld keine Ausnahme, der den
Kettcar Auftritt als Vorband gleich noch viel vergnüglicher machten.
Fortuna Ehrenfeld
Hinter Fortuna Ehrenfeld steckt der Multiinstrumentalist Martin Bechler
aus Köln. Der schlurft im Schlafanzug mit
Bärentatzen-Schlappen und mit umgehängter Federboa auf die
Bühne, Kaffeetasse in der Hand und Rotweinpulle in der anderen.
Auch die nicht vorhandene Frisur deutet auf „gerade
aufgewacht“ hin. Doch die optische Erscheinung täuscht.
Bechler präsentiert sich als äußerst aufgeweckt und
macht sich gleich mal bei allen AFD-Anhängern beliebt, die er
auffordert den Saal zu verlassen. Solche Leute will er nicht auf seinen
Konzerten haben. Seine geäußerte Sorge, einmal danach ganz
allein in der Halle zu stehen, kann man allerdings nicht teilen. Denn
AFD-Anhänger sind nicht die klassischen Fortuna
Ehrenfeld-Hörer. Definitiv nicht.
Die anspruchsvolle Popmusik ist eh nicht massenkompatibel, nicht
vergleichbar mit den Bouranis, Giesingers, Benzkos, Fosters und wie sie
alle heißen, die gerade in den Charts rauf und runter gespielt
werden. Da ist kein Platz für die heile "Schlager-Welt" sondern
für melancholisch Trauriges, tiefsinnig Hintergründiges oder
sparsam instrumentalisiert Minimalistisches ala Fortuna Ehrenfeld. Und
so geht es auch nicht um die großen Liebesgefühle in
den Songs, sondern um den Puff von Barcelona, Glitzerschweine, das
letzte Kommando, analoge Mädchen, das heilige Kanonenrohr, oder
die Bumsrepublik um nur mal ein paar Songtitel seiner bisher 2
erschienenen Alben zu erwähnen.
Und so singt er mit einer dunklen leicht „versoffenen“
Stimme an diesem Tag „Ein Tag zum Vergessen, ein Tag wie ein
Schwein – zum Töten zu rosa, zum Fressen zu klein.“
Leider fast im dunklen. Denn das ist das einzige Manko des Auftritts,
die Beleuchter hatten wohl noch frei. Selten ein so schlecht
ausgeleuchtetes Konzert erlebt, wie das von Fortuna Ehrenfeld. Das wird
hoffentlich im März, wenn Fortuna Ehrenfeld wieder auf Tour sind
und noch einmal im E-Werk, aber auch in Bayreuth und Hof zu erleben
sind, besser.
Die Bildergalerien des Abends
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Fortuna Ehrenfeld
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