Ein bisschen leidtun
kann einen die Oma in den letzten Reihen der Meistersingerhalle schon,
wie sie da mit den Fingern in den Ohren dasitzt und mit einem Blick
irgendwo zwischen Faszination und Entsetzen das Konzert von
„Deine Lakaien“ verfolgt. Allzu leise war es wirklich nicht
an diesem Abend, deshalb empfehlt es sich bei jedem Konzert zumindest
Ohrstöpsel dabei zu haben. Auch wenn es diesmal auch ohne
geht, gerade noch. Aber man muss „Deine Lakaien“ eh laut
hören, damit sich jeder Ton so richtig im Körper breit machen
kann. Damit nicht nur Kopf und Gehör etwas davon haben, sondern
auch Veljanovs Stimme direkt aus der Gruft auch Bauch und Zehen
erreicht. Und das tut sie, so beeindruckend und intensiv, wie bisher
bei der Band noch nie erlebt. Erst dann entfaltet sich die Wirkung der
Musik so richtig. Manchmal gar bis zur Schmerzgrenze. Wie zum Beispiel
beim Song „Reincarnation“, der zwischendrin und am Ende mit
einem nervtötenden Dauerton schon fast weh tut. Zum Glück
wird er dann zumindest vom Schlagzeug übertönt, was das ganze
schon wieder erträglicher macht. Man hatte Mitleid mit den
Zuhörern.
Über 30 Jahre gibt es das
Elektronik-Avantgarde-Gothic-Darkwave Musikprojekt von Sänger
Alexander Veljanov und Ernst Horn nun schon, dass als Szeneband
gestartet, sich inzwischen zu einem der eindrucksvollsten und
außergewöhnlichen Musikprojekt entwickelt hat, dass
natürlich extrem polarisiert und zwischen Lieben und Hassen kaum
Raum lässt. Nicht nur für die Schwarze Szene, deine Lakaien
können alle Musikliebhaber gleichermaßen faszinieren, wenn
die nur einmal bereit sind, sich auf die zwei und die famose Band, die
an diesem Abend auf der Bühne steht, einzulassen. Mittendrin
Tobias Unterberg den die meisten als B. Deutung wohl besser kennen und
der mit seinen Celloklängen genauso fasziniert, wie die
Violinabteilung mit Katharina "Sharifa" Garrard und Yvonne "Ivee Leon"
Fechner. Hinzu kommen Slobodan Kajkut am Schlagwerk, Igor Zotik am
Keyboard und Goran Trajkoski an der Gitarre. 30 Years Retrospective
bedeutet für das kongeniale Duo musikalisch Bilanz zu ziehen, also
auch die 2 weiteren Projekte zu beleuchten, nämlich Veljanov, das
etwas gefälligere Soloprojekt des Sängers und Ernst Horns
Mittelalter-Elektronik Band Helium Vola, dass er zusammen mit Sabine
Lutzenberger nach seinem Ausstieg bei Qntal 2001 gegründet hatte.
Die Spannung im Publikum war fast
greifbar, als die Musiker die abgedunkelte Bühne betraten und die
ersten Klänge einsetzten. Aber auch fast ohne Bühnenlicht war
Alexander Veljanov gut erkennbar. Denn genauso beharrlich, wie sich
beide musikalisch treu bleiben, bleibt man sich auch im optischen
Erscheinungsbild bis heute treu. Und da scheint der Zahn der Zeit
irgendwie an keinen der beiden zu nagen. Veljanov hat noch immer diese
eindrucksvolle Mähne, die wohl jeden Friseur erschaudern
lässt, der Lust hat öfters mal etwas Neues auszuprobieren.
Und Ernst Horn geht auch heute noch als Catweazleverschnitt durch mit
seiner Mähne, von der viele Männer in dem Alter nur
träumen können. Wäre da nicht der Gang von Ernst Horn,
man würde meinen die beiden hätten den Jungbrunnen erfunden.
Musikalisch haben sie das auf jeden Fall, egal wie alt die Songs sind,
sie sind zeitlos schön und klingen so modern, als wenn sie gestern
geschrieben worden wären. Und sie klingen, um das auch in aller
Deutlichkeit festzustellen, nicht wie auf der 30 Years Retroperspective
CD-Werkschau. Sie sind wesentlich weniger glattgebügelt,
wesentlich mehr Avantgarde und kantiger und das macht das
Hörerlebnis nur noch beeindruckender Mit der Ballade
„Away“ startet der Abend und wie durch Geisterhand bewegen
sich die Tasten des Flügels von allein dazu. Praktisch, wenn das
Klavier von alleine spielt, blöd nur, wenn an diesem Abend einer
der wohl genialsten Tastenstreichler Deutschschlands mit auf der
Bühne steht. Was er in der Lage is,t an Tönen allein dem
Klavier zu entlocken sucht seinesgleichen. Auch wenn das an diesem
Abend gar nicht so wirklich sichtbar bzw. hörbar wird. Dafür
wird von Anfang an erlebbar, dass es ein Abend der musikalischen
Gegensätze werden könnte, wenn die warme balladeske
Eröffnungsnummer in das kühle „Colourize“
übergeht, gefolgt von „Gone“ und „Lonely“.
Richtig magisch wird es dann als sich
Ernst Horn erstmals an das Klavier setzt und von zärtlichen
Klavierklängen untermalt Helium Volas Stimme Sabine Lutzenberger
die Bühne betritt. Besser als mit den Stücken
„Mahnung“ und „Dormi kann man den Reiz den
Helium Vola ausmachen musikalisch nicht präsentieren,
großartig gesungen ist die Verbindung aus Mittelalter Klassik und
Avantgarde ein Erlebnis für sich an diesem Abend. Den Mut nach den
wunderschönen klassischen Klängen danach „Over and
Done“ als harte Elektronummer zu beginnen muss man erst mal
haben. Gegensätze wie sie kaum größer sein können,
Gegensätze die den Reiz des Abends aber nur noch erhöhen. Und
davon gab es reichlich. Danach gab es wie Veljanov betonte ein Lied zu
unserem Lieblingsthema, die Liebe. Es war eine von wenigen kurzen
Ansagen an diesem Abend. Mit den Songs „Man with the Silver
Gun“ und „The Sweet Life“ war dann die Veljanov
Besetzung dran, also ohne Ernst Horn, der inzwischen die Bühne
verlassen hatte und passend erst beim Deine Lakaien Song
„Return“ zurückkam. Endlich ist der Frühling da
stellte Veljanov aufgrund des schönen Sonnentages erfreut fest und
passend dazu stimmte ein wunderschönes Geigenintro den Song
„Fighting the Green“ an, der letzte vor der kurzen Pause.
Nach der 15-minütigen Pause
stimmte das ruhige „Walk to the Moon“ auf den zweiten,
genauso spektakulär verlaufenden Teil ein, der mit dem wirklich
ziemlich brachial daherkommenden „Contact“ das Publikum aus
allen Träumen riss, um danach mit „Where the winds don`t
blow“ wieder etwas Tempo rauszunehmen. Zu der Zeit wusste das
Publikum, dass selbst ein Telefonklingeln, wenn man Ernst Horn darauf
ansetzt, in einem Musikstück gut klingen kann, aber Töne in
Musiksongs zu verarbeiten beherrscht er ja eh meisterhaft. Warum soll
man Bewährtes ändern, das gilt nicht nur für die Musik
der Ausnahmekünstler, sondern auch den Konzertablauf an diesem
Tag, so dass erneut Helium Vola mit den Stücken
„Begierlich“ „In Dem Hertzen Min“ und
„Omnis Mundi Creatura“ die Bühne gehörte. Und
erneut erwies sich Sabine Lutzenbergers magische Stimme als absoluter
Genuss. „Cupid Disease“ wurde natürlich in kompletter
Besetzung präsentiert, bevor Veljanov nach dem eingängigen
„Seraphin“ mit „Mein Weg“ dem Publikum zur
Abwechslung eine der markantesten Stimmen des Musikbusiness in Deutsch
singend präsentierte. Auch ein jazziger Anfang kann da nicht
darüber hinwegtäuschen, dass dies ein durchaus
gewöhnungsbedürftiger Versuch ist. Wege sind oft lang stellt
er fast philosophisch fest und wenn man ankommt geht es wieder von
vorne los. Round and Round also und damit wurde der Bogen zum letzten
Veljanov Song des Abends „We can`t turn back“ geschlagen.
Nun gehörte der Rest des Abends
ganz allein Deine Lakaien, die nach dem spektakulären, mit
monotonen Lärm aufwartende fast wehtuende
„Reincarnation“ aufs Ende des Konzertes zusteuerten.
„Das geht nun schon 3 Jahrzehnte stellte Alexander Veljanov
zufrieden fest und niemand weiß, wo es noch hingeht. Und dabei
träumt man von Sternen die einen zuhören …“
schon setzt B. Deutung mit seinem Cello ein und beendet die kurze
Ansage mit dem letzten regulären Stück des Abends „Dark
Star“. Das Publikum, dass nun fast geschlossen stand forderte
vehement Zugabe, einen Wunsch den Deine Lakaien natürlich gerne
mit 3 Songs nachkamen.
„Deine Lakaien, es geht weiter,
ein Lied“s moderierte Alexander Veljanov „One Night“
an, diesmal ganz akustisch, nur Mr.Klavier Ernst Horn und „The
real Voice“ (lieber Tom Jones) erzeugten wieder Erpelpelle vom
feinsten.
Mit „Mindmachine“ und der
Wucht aller Musiker wurde es danach wieder richtig laut, bis eine
gespielte pipsende Technikstörung Ernst Sieber als Lösung des
Problems präsentierte und „Overpaid“ folgte.
Erneut stand das Publikum und jubelte
den die Bühne verlassenden Musikern zu und die ersten Wahnsinnigen
hatten es nun eilig um möglichst schnell die Halle zu verlassen.
Hoffentlich haben sie es geschafft,
bevor die Musiker zu „Love me to the end“ nochmals
zurückkamen und mit einem furiosen Ende ein faszinierendes Konzert
die Krone aufsetzten. Denn dann haben sie die Krönung des
Konzertabends verpasst. Gerechter Lohn für unsinnige Hektik und
Unhöflichkeit gegenüber den Musikern und dem restlichen
Publikum.
Man kann 30 Jahre Musikgeschichte kaum
besser präsentieren, als „Deine Lakaien“ an diesem
Abend, die mich, obwohl schon einige Male gesehen noch nie so
fasziniert haben wie diesmal. Das Licht vom feinsten, ein Sound der
keine Wünsche offen lässt und Stimmen für die Ewigkeit
bleiben noch lange in Erinnerung. Zumindest solange bis eine
hoffentlich erscheinende Live Doppel CD oder DVD den Abend wieder total
lebendig werden lässt. Hoffentlich.
Die Bildergalerie des Abends