Wingenfelder
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Nürnberg, Hirsch 22.10.2014
Who the fu** is Alice
gibt es ja als Song von Smokie, manch einer fragt sich dasselbe beim
Namen Wingenfelder. Eine musikalische Bildungslücke, die man
schnell schließen kann. Von 1986 bis 2008 gab es eine
beeindruckend gute Rockband aus Hannover, ein absoluter Gegenpol
zur damals boomenden Neuen Deutschen Welle u.a. von den Brüdern
Kai und Thorsten
Wingenfelder gegründet. Als Fury in the Slaughterhouse war man
höchst erfolgreich,
verkaufte über 4 Mio Tonträger und stand über 1000 mal
live auf der Bühne. Und wer das Glück hatte sie live zu
erleben, der wird von der Energie und dem Charisma des Songschreibers
und Sängers Kai und seiner Band bis heute tief beeindruckt sein.
An seiner Leidenschaft und Energie hat sich übrigens bis heute
nicht viel geändert,
musikalisch dafür umso mehr. Denn im Gegensatz zu Fury wird statt
Englisch nun Deutsch gesungen und dies seit 2010 unter dem Namen
Wingenfelder.
Wingenfelder sind live aber nicht nur die Brüder Kai und Thorsten
sondern
Wingenfelder ist auch eine großartige Band mit Gitarrist Norman
Keil, Bassist Volker Rechin, Schlagzeuger Lutz Sauerbier und Keyboarder
Sebastian Demmin. Und wehe man lässt die los, dann geht der Punk
ab. Das konnte man im Hirsch an diesem Abend genauso beeindruckend
erleben, wie eine bravourös gespielte Mundharmonika einen Saal zum
Kochen bringen kann.
Egal ob mit Fury in the Slaughterhouse oder als Wingenfelder, die Musik
ist handgemacht, ehrlich und wohltuend persönlich. Und sie wird
immer wieder wunderschön mit Bildern auf den 2 Monitoren am
Bühnenrand illustriert. Auch wenn der dafür nötige
kleine Mac am Anfang vor der großen Bassbox kollabierte, zum
Glück brachte man ihn aber wieder zum laufen, denn das was sich
Wingenfelder an optischen Bildern ausgedacht hat ist wirklich
sehenswert und fängt ganz gemütlich mit einem lodernden
Kaminfeuer zu Beginn des Konzertes an.
Und genauso ehrlich wie die Musik, die die Wingenfelders abliefern
geben sie sich auch auf der Bühne und machen sich damit sicher
auch an diesem Abend nicht nur Freunde. So wie z.B. mt der Bemerkung es
gibt Liebeslieder und es gibt Atemlos. Oder bei der Bemerkung über
die am meisten überbewerteste Stadt in Deutschland Berlin. Auch
beim Radio macht man sich keine Freunde, das Formatradio, das
man eigentlich wegen Musikvergewaltigung verklagen müsste, weil
sie z.B. einen richtig langen Fury Song um 2:23 so kürzen, dass
die
Lenor Werbung auf alle Fälle noch Platz hat. Und doch haben sie
auch hier wie bei so vielem was sie an diesem Abend von sich geben
sowas von recht.
Und immer wieder gibt es persönliches zu den Songs dazu, wie die
Geschichte von der Tochter die unbedingt nach Berlin wollte, weil das
damals so hip war, oder beim Song Mensch Paul den man für einem
Freund und Mitmusiker geschrieben hat, der einem Gewaltverbrechen
mittels Baseballschläger zum Opfer fiel. Als Kai zuvor diese
Geschichte erzählte und dann den Song anstimmte und die
Strophe kommt
Und ich hab Stunden geweint,
als ich an Deinem Grab stand,
hab dich zwei Tage vorher
an meinem Fenster gesehen.
Und Du hast gemeint,
Du wärst dicht bis zum Anschlag,
hättst Deinen Vater gefunden
und das Leben wär schön.
das schnürt es einen schon den Hals zu und
lässt einen wie vieles an diesem denkwürdigen Konzertabend
nicht kalt.
Kalt war Kai Wingenfelder auch nicht, nach 2 Dritteln des Konzertes war
der größte Teil des Hemdes, das er trug bereits
durchgeschwitzt, kein Wunder neben viel Aktion auf der Bühne war
Mr Charisma auch im Zuschauerraum singend unterwegs und hat bis heute
nichts an Stimme und Ausstrahung eingebüßt. Und doch
hätte man sich das ganze Konzert auch leichter machen
können, hätte den Fury in the Slaughterhouse Überhit
"Won`t forget these Days" früher und nicht erst als 12. Song
spielen können. Denn dann wäre das am Anfang etwas
lethargisch wirkende Publikum schon viel
früher voll auf Wingenfelder angesprungen und wäre anfangs
nicht so reserviert geblieben. Aber es sich leicht machen, das ist
nicht das Ding der Wingenfelder Brüder. Zum Glück ist
man es sich auch als Wingengfelder nicht zu schade, der
beeindruckenden musikalischen Vergangenheit etwas zu huldigen, neben
besagtem Song gibt
es noch das Partytaugliche Dead and gone, das träumerische Time
to Wonder und das kuschelige Trapped Today. Und das ist einfach
großartig, Kais Stimme klingt hier auch reichlich anders als bei
den Deutschen Songs und es beschleicht einen an diesem Abend auch eine
gewisse Wehmut, dass es Fury in the Slaughterhouse nicht mehr gibt und
es wird einen eindrucksvoll vor Augen geführt, dass dies
musikalisch ein echter Verlust ist. Auch wenn Furys Stimmen als
Wingenfelder weiter Musik machen und auch die Songs der bisherigen
Alben Besser zu Zweit, Off the Record und Selbstauslöser absolut
hörenswert sind für die Generation Rocker Über 30. Aber
natürlich auch darunter.
Im Frühjahr 2015 wird es mit Revolution dann das vierte Album,
finanziert mittels Crowdfounding im Handel geben und dann werden sie
auch sicher wieder auf Tour gehen, denn das Touren das haben die
Brüder einfach im Blut. Auch wenn sie, wie sie wieder grundehrlich
offen zugeben nicht gerade die Band sind mit der ein Veranstalter reich
werden kann und sich auf diesem Weg bei Peter Harasim vom
Concertbüro Franken bedanken, dass er ihnen trotzdem eine
Bühne für ihre Musik zur Verfügung gestellt hat.
Aber vielleicht passiert ja diesmal das, was viele Musiker immer bei
einem neuen Album denken gerade einmal nicht. Wie sagten sie so
schön im Konzert, man denkt jetzt geht es los, wenn das Album
erscheint und nichts geht los. Vielleicht geht es 2015 doch los, aber
egal ob was los geht oder nicht, Wingenfelder sind eine echte
Bereicherung der Deutschen Musiklandschaft, gradlinig, ehrlich und
direkt und allzuviele Menschen dieser Spezies gibt es ja leider nicht.
Und sie sind sicher auch 2015 live ein Erlebnis. Also auf ein Neues in
Nürnberg im nächsten Jahr.
Und nun Wingenfelder in Bildern
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