Nicht nur
bei der Kelly Family, auch beim Eisbrecher Festival waren die ersten Besucher/innen
schon nachts gekommen. Eine Stunde vor Einlass hatte die Schlange am Einlass
schon ein beträchtliches Ausmaß und die Stimmung unter den vielen schwarz
gekleideten Besuchern war bestens. Und vor der Halle stand eine schicke rote
Vespa, die ausnahmsweise nicht Welle Erdball gehörte, sondern einem Ulmer, der
seiner wartenden Schwester Gesellschaft leistete. Purer Zufall also und doch
schon eine kleine Einstimmung auf die Vespa-verehrende Welle Erdball-Radioshow.
Naturgemäß füllt sich mit Hallenöffnung diese sehr schnell, die Plätze ganz
vorne sind ja sehr begehrt. Diesmal war das komplett anders. Es bildete sich
eine neue Schlange durch den ganzen großen Vorraum. Eisbrecher hatte Autogrammstunde
und das wollte sich scheinbar niemand entgehen lassen. Da wartete man gerne
eine Stunde bis man endlich drankam. Es hätte vielleicht auch schneller gehen
können, aber nicht wenn Alex Wesselsky und seine Truppe Autogramme schreibt.
Bestens gelaunt hat der Eisbrecher Sänger für jeden ein freundliches Wort
übrig, lässt sich fotografieren, blödelt rum und hat immer einen lustigen
Spruch auf den Lippen. Auch nach einer Stunde war er noch immer bestens
gelaunt, die Schlange schien überhaupt kein Ende zu nehmen. Als 2 Stunden nach
Einlass Punkt 3 mit „And then she came“ das Festival eröffnet wurde, waren
gerade die letzten bei der wie wild schreibenden Band angekommen.
And Then She Came
Der Krypteria-Nachfolger mit vielleicht Deutschlands bester Frontfrau Ji-In Cho
ist definitiv eine Bereicherung jeden Festivals. Und seit dem Debüt im letzten
Jahr hat man sich in fast identischer Krypteria-Besetzung auch so richtig mit
dem Modern Rock angefreundet und bietet dem Besucher gleich zu Beginn ein
Mega-Rockbrett.
Die Musik von „And then she came“ ist keine, die sofort ins Ohr geht, die man
nach einmal hören sofort mitsingen kann. Je öfter man Songs wie "Hellfire
Halo", "Five Billion Lies" oder "Public Enemy" aber
hört, desto mehr verliebt man sich in die Musik der Truppe aus Aachen. Ist die
CD definitiv einen Kauf wert, so ist die Band live, wie schon zu Krypteria
Zeiten ein ganz besonderes Erlebnis.
Denn Deutschlands heißeste Mama hat auch nach der Babypause gar nichts
verlernt, ist immer noch die Rampensau schlechthin und selbst mit
Baseballschläger auf der Bühne rumwirbelnd möchte man von ihr nicht Reißaus
nehmen. Gitarrist Olli Singer, Bassmann Frank Sturmvoll und Michael Kuschnerus
an den Drums haben das einzig richtige getan, indem man mit neuer Musik, neuem
Namen und Ji-In an Mikrofon neu durchstartete. Und wie, seit Bestehen wirbelt
man schon mächtig durch die Musikszene. Fleißig wird übrigens schon an neuen
Songs gearbeitet, man kann echt gespannt auf das neue Album sein.
Ein Mega-Auftakt mit einem kleinen Schönheitsfehler. Da man auf einen eigenen
Lichtmann verzichtete war die Ausleuchtung der Band suboptimal.
Unzucht
Das wurde übrigens auch zu Beginn der Show von Unzucht nicht wirklich besser,
scheinbar ist es in Ulm üblich gerade bei den 3 Songs, wenn die
Pressefotografen versuchen schöne Bilder zu schießen, das Licht besonders
schlecht zu machen. Man kann nur hoffen, dass alle Lichttechniker die
Show von Eisbrecher mit wachen Augen mitverfolgt haben. Man hätte einem
Lehrfilm drehen können, wie Lichttechnik eine Show aufwerten kann. Besser geht
es kaum mehr.
Aber zurück zur Unzucht und ihren Frontmann Daniel Schulz. Der Schulz kam mit
seiner Truppe aus Balingen angereist, wo man am Freitag das Publikum des parallel
laufenden "Rock Harz" zum Ausflippen brachte. Wieso konnte man dann
in Neu-Ulm am eigenen Leib nachempfinden. Der zum Teil sehr harte Dark Rock der
"unzüchtigen" Hannoveraner kam prächtig an und so wurden Band und
Sänger auch mächtig und zurecht abgefeiert. Selbst wenn man meiner Meinung nach
die stärksten Momente dann erleben kann, wenn man dem Härtegrad etwas
zurückschraubt, so ist das Gesamtpaket "Unzucht" mit Daniel De Clerq,
Toby Fuhrmann und Alex Blaschke immer einen Konzertbesuch wert. Songs wie
"Der dunkle See", "Kettenhund", "Deine Zeit läuft
ab" um nur mal drei zu nennen erweisen sich, wie die gesamt Setlist, als
1-A Livetauglich und die Rampensau-Qualitäten des Sängers sollten inzwischen
auch den letzten Sympathisanten der schwarzen Szene hinlänglich bekannt sein.
Unzucht machten auf alle Fälle aus der Halle ein Tollhaus und heizten die Halle
so richtig auf, so dass danach erst einmal fast alle ins Freie flüchteten um
etwas Abkühlung zu bekommen.
Lord of the Lost
Dass die Autogrammstunde von Lord of the Lost gecancelt werden musste, nachdem
die Band staubedingt zu spät in Neu-Ulm eintraf, sorgte bei den „Lord of the
Lost“- Fans für lange Gesichter. Man kann aber, wenn man die Vorgänge beim G 20
Gipfel in Hamburg verfolgt hat, eh froh sein, dass die Hamburger Band überhaupt
rechtzeitig und gesund auf der Bühne stand. Und das mit 2 echten
Überraschungen. Die eine, saß an den Drums und erwies sich bei genaueren
Hinsehen nicht als langmähnige Frau, sondern als Erdling Drummer Niklas Kahl,
der (sehr zu meiner Freude) bei Lord of the Lost aushalf. Er wäre eine geniale
Dauerlösung auf der Schlagzeugposition und ein echter Gewinn für die Band. Die
zweite war nicht ein vom Tod auferstandener Freddy Mercury, sondern Gared
Dirge, der neben seinen Trommelqualitäten und seinen Können an den Synthesizern
auch als Theremin-Spieler positiv in Erscheinung trat. Lew Termen, wäre
bestimmt entzückt gewesen, hätte er gehört, wie sein
"Katzenjaul"-Instrument die Musik von „Lord of the Lost“ bereichern
kann. Gared Dirge ist bei jedem Konzert für eine optische Überraschung gut. War
er bei der Eisheiligen Nacht, als Kampf bzw. Klampfirokese mit rosa Mähne ja
schon heiß, so hat er sich als Freddy Mercury Double noch einmal selbst
übertroffen
Wie schon „And then she came“ und die Unzucht hat auch „Lord of the Lost“ einen
höchst charismatischen Frontmann zu bieten. Der hört auf den Namen Chris Harms
und hatte irgendwie nicht den besten Tag erwischt. Da konnte auch das einmal
mehr famose La Bomba nichts mehr rausreißen, im Vergleich zur Unzucht gingen die
Punkte nach Hannover und nicht nach Hamburg, worüber sich der bekennende
Hannover 96 Fan Schulz sicher auch in der kommenden Bundesligasaison sehr
freuen würde.
Ganz anders wird sich die Band übrigens Ende des Jahres präsentieren, wenn nach
Veröffentlichung des zweiten Teils der Swan Songs eine ganz besondere Tour
ansteht, eine mit Hühnerhaut, Gänsehaut und Erpelpellegarantie. Swan Songs ist
wohl mit das bisher beste je erschienene Gothic Album, man kann also auf
die Fortsetzung gespannt sein und sollte sich schnell um Karten bemühen.
Welle Erdball
Scheinbar ist ein herausragender Frontmann bzw. im Falle „And
then she came“ Frontfrau eine der Grundbedingung, um am Volle Kraft voraus Festival im
Lineup aufgenommen zu werden. Da hat auch Welle Erdball mit Honey einen ganz
besonderen zu bieten. Trotzdem unterscheidet sich die Band völlig, von allem
was es sonst an diesem Abend so zu hören gab. Weil die 2 Damen,
trotz charismatischem Frontmann genauso unersetzlich sind. Wie, zeigt sich
gleich beim ersten Song der nun folgenden Sendung "1000 Engel" als
man sich aufgrund des Gesangs von Lady Lila und deren riesigen Engelsflügel wie
im Himmel vorkam, noch dazu wenn man vermeintlich pünktlich die Halle betrat.
Hatte sich die Anfangszeit der Welle Erdball Sendung völlig untypisch für
Anstalten dieser Art sogar 5 Minuten nach vorne verlegt. Das war genauso
überraschend, wie als Anfang der Sendung ausgerechnet diesen Song zu
spielen. Alle Fotografen befanden sich zu der Zeit im Graben, keine
allzu glückliche Entscheidung, denn gerade von weiter weg fotografiert macht
Engel Lila noch weit mehr her.
Apropos Engel, der zweite weibliche war auch diesmal Emma Peel, die aus
der
Band schon nicht mehr wegzudenken ist. Mehr als ein Ersatz für
Frl. Venus und hoffentlich auch aufgrund ihres extrem sympathischen
Wesens eine absolute Dauerlösung.
Jeder der mit der Band, der Minimalelektomugge und ihrer Ästhetik
aus der
Vergangenheit vielleicht nicht so viel anfangen kann, machen
selbst für diese Welle Erdball showtechnisch immer gewaltig etwas
her. Das heutige Radioprogramm,
ein kleines Best of, überzeugt, wie nicht anders zu erwarten war,
die meisten.
Und einen besseren Beweis, dass man sich in den Jahren nicht in der
Vergangenheit suhlt und nicht weiterentwickelt ist die neueste EP
Gaudeaumus
Igitur, das bisher beste was man bisher veröffentlicht hat. Eine
süchtig
machende Scheibe mit Rauf und Runterhörgarantie, nicht nur
für Welle Erdball
Fans. Auch daraus gab es natürlich einiges zu hören. Welle
Erdball, wohltuend
anders, waren eine echte Bereicherung des Line-Ups, wenn auch zugegeben
nicht
für jeden. Dafür polarisiert die Musik aber auch zu arg und
das ist auch echt
gut so.
Combichrist
Man fährt gemütlich mit dem Cabrio durch die Natur, die Sonne scheint einen auf
den Kopf und der Wind weht durchs (vielleicht noch vorhandene) Haar. Um sich
urplötzlich im Formel-Eins-Rennwagen wiederzufinden und schleudernd um die
Kurve zu schießen, die Haare einem Sturm ausgesetzt. So ist man sich
vorgekommen als nach Welle Erdball Combichrist mit ihrem Wutnickel Andy
LaPlequa auf der Bühne standen. Man vermutet ja aufgrund des Namens eher eine
US-Band, doch es handelt sich tatsächlich um ein Norwegisches Musikprojekt.
"What the Fuck is wrong with him" stellt man sich nach dem
Wahnsinnsauftakt mit "Wtf is wrong with you people" und Blut Royale
die Frage, die nach einem fast quälend langen Intro, die Halle sofort zum
ausrasten brachten. Eigentlich gar nichts und es ist ja fast schon überflüssig
zu erwähnen, dass das Energiebündel am Mikrofon vor Charisma und
Rampensau-Qualität nur so strotzt. Die Fans des Aggrotech bzw. Hellelectro oder
Brachialelektros kamen bei der Norwegischen Band so richtig auf ihre Kosten.
Selbst als Nichtfan dieses Musikgenres konnte man der Band aber durchaus etwas
abgewinnen. Warum man allerdings den Schlagzeuger, wie auch schon bei der
Unzucht den guten Nik, nicht mit Blick zur Bühne plaziert hatte, erschliesst
sich jeglicher Logik. Es ist nämlich auf Dauer nicht erbaulich, das
Schlagzeugspiel von Nick Rossi ständig von der Seite zu beobachten, und das
allein war bei Combichrist mehr als einen Blick wert.
Skull Crusher, Throat full of glass, No Redemption und der Zombie Fistfight
waren die nächsten Nummern im 14 Song umfassenden Programm der Band und stießen
auf große Begeisterung im Publikum. Das war nach dem energiegeladenen Auftritt
auch durch die Hallentemperaturen sichtlich mitgenommen und strebte in Massen
ins Freie um sich zu erfrischen oder an den Essensständen für das Highlight des
Tages zu stärken, während in der Halle die Luft leider trotzig stehenblieb.
Eisbrecher
Als dann Eisbrecher loslegten, die Geldscheinkanone die neue Währung ins Volk
schoss und ein Zigarren rauchender Frontmann das Rednerpult zum Song
"Verrückt" betrat, war die Halle natürlich wieder gut gefüllt und die
Besucher sofort wieder auf Betriebstemperatur. Wie gut zeigte sich bei einem
Blick auf den Vorraum und den kleinen Markt mit Biergarten vor der Halle, der
so leer war wie noch nie. Die Betriebstemperatur von Sänger Wesselsky,
übrigens nicht der Graf Unheilig, wie er grinsend feststellte, war ja eh den ganzen
Tag schon extrem hoch. Von der
Hallenöffnung an schien er keine Ruhe zu haben, bzw. sich keine ruhige Minute
zu gönnen. Nach der endlosen Autogrammstunde sah man ihn ständig mit seinem
Publikum quatschen, Autogramme geben oder für Fotos zur Verfügung zu stehen.
Höchst bemerkenswert und sicher einer der Gründe warum die Band zurecht bei
immer mehr Musikfans so beliebt ist. Und der Fankreis wächst und wächst.
Deshalb begrüßte der Frontmann alle die gekommen waren erst einmal freudestrahlend.
Und sie waren von überall her gekommen. Von Österreich, von Finnland, Schweden
oder aus Russland zum Beispiel. Keiner wird es bereut haben, allein die
Eisbrecher Show war an diesem Abend eine Klasse für sich. Die Lichtshow mega,
die Band spielfreudig und leidenschaftlich wie immer und ein Sänger, der voller
Energie immer für einen lockeren Spruch gut ist, wie z.B. über sein Publikum,
das er persönlich an diesem Tag ja fast komplett kennengelernt hat.
"Manche kennt man ja schon ewig, mancher ist auch grau geworden und hat
unten mehr Haare als oben".
Als weitere Überraschung präsentierte man 2 neue Songs, einen zukünftigen
Superhit, wie Alex Wesselsky mit Augenzwingern feststellte und gerade "Was
ist hier los" passte ja geradezu perfekt zu dem Geschehen an diesem Abend
in Neu-Ulm. Sehr stimmungsvoll auch die Schneekanone und die trotz
Saunatemperaturen in Polaroutfits kostümierte Band. Eine tolle Idee, die
Handyfotomöglichkeit, die es bei besten Licht ermöglichte die eingefrorene Band
in den stärksten Rockposen zu fotografieren. Selbst sein mutiges Versprechen,
wenn genug Leute kommen, diese mit Handschlag zu verabschieden, setzte er in
die Tat um und sorgte damit für einen ganz besonderen Konzertausklang, nachdem
zuvor traditionell wieder einige Eisbären ins Publikum geflogen waren.
Ji-In Cho ließ es sich, wie auch der eine oder andere Musikerkollege nicht
nehmen, das Spektakel von Anfang bis zum viel zu schnellen Ende mitzuerleben,
aber auch da hatte er noch eine freudige Mitteilung parat, als man eine
Fortsetzung 2018 ankündigte.
Eine Wahl haben Eisbrecher da aber eigentlich nicht, zu positiv war die
Resonanz des Publikums auf das Festival, zu beeindruckend waren aber auch die
Gäste an diesem Tag sicher auch für die Band/s. Und ein Paradebeispiel dafür,
dass es völlig egal ist, wo man herkommt, wo man geboren ist oder welche
Sprache man spricht. Alle haben eins gemeinsam, die Liebe zur Musik und so
wurde der Tag zu einem friedlichen globalen Happening das unbedingt einer
Fortsetzung bedarf.
Sie haben tatsächlich alles richtig gemacht bei ihrem Festival. Eine Premiere
die von Anfang bis Ende total rund lief und als einziger echter Kritikpunkt
bleibt, dass die angeblich klimatisierte Halle scheinbar nicht klimatisiert
war. Trotzdem erwies sich auch die Halle mit den vielen kostenlosen Parkplätzen
und der Möglichkeit eines kleinen Marktes im Eingangsbereich als Glücksgriff,
fast schon überflüssig zu erwähnen, dass man sie auch bestens erreichen kann,
egal von wo aus man auch anreist.
Was soll man noch sagen zu diesem denkwürdigen Festivaltag. Ulm und Eisbrecher
das passt und das wird noch eine Mega-Erfolgsstory, die Premiere ist ja schon
kaum zu toppen. Und daran hatten auch die vielen Helfer im Hintergrund, das
gesamte (Verkaufs-) Personal und die freundliche Security einen beträchtlichen
Anteil.
Volle Kraft voraus also auch 2018, wer 2017 verpasst hat sollte 2018 unbedingt
dabei sein. Dann glücklicherweise wieder in Ulm, in der Konzertdiaspora wie
Alex Wesselsky so schön launig bemerkte.
Ulm und Eisbrecher das passt einfach total. Einzig um den Termin wird noch gerungen und der
ist dann hoffentlich nicht gerade wieder parallel zu einigen anderen Festivals wie
z.B. zum Shamrock und Rockharz an diesem Tag. Auf Grund der tollen Halle kann man hier ja
problemlos auf Ende September ausweichen oder Anfang Juni, also in
eine eher Festivalfreie Zeit.